Der Winter ist da!
Der Wind
trieb die feinen Schneeflocken schleierweise vor sich her. Alvinya schauderte
und stampfte mit den Füssen ein paar Mal auf den Boden, obwohl sie diese auch
danach nicht besser spürte. „Diese elende
Kälte!“, schimpfte sie leise vor sich hin, zupfte die Handschuhe zurecht, packte
die Schaufel und machte sich wieder daran, den Weg einigermassen vom Schnee zu
befreien.
Eigentlich
wäre das ja eine Arbeit für Rhonen, ihren Mann gewesen. Doch der war
wahrscheinlich noch grösserer Kälte ausgesetzt, droben im Norden, irgendwo… Für
einen Augenblick stützte sich Alvinya auf die Schaufel und seufzte, als sie an
die letzte Nachricht dachte, die er ihr übermitteln liess. „Es ist kalt hier,
aber wenigstens gibt es genügend Fleisch. Ich bin froh um den Umhang, den du
mir gemacht hast, ich hoffe, er hält bis zur Rückkehr. Grüss die Jungs von mir!
Ich vermisse euch.“
Ja, sie vermissten
ihn auch. Alle drei vermissten sie ihn. Für Mikey und Jimmy war er zwar vor
allem der grosse Held, der strahlende Paladin, der den Lichkönig besiegen
würde! Alvinya schmerzte es immer, wenn sie vernahm, dass vor allem Jimmy sich
sehr für den Orden interessierte. Er wäre am liebsten sofort eingetreten und
seinem Vater in den Norden gefolgt. Dabei war er noch so klein. So jung, so
unschuldig! Ja, sie vermisste Rhonen sehr. Er hätte es sicherlich besser
geschafft, dem Jungen auch die anderen Seiten seines Traumes nahe zu bringen.
Die Seite der Mühen und Plagen, der Schmerzen, der Anstrengung, der Angst. Die
Seite der Entscheidungen und deren Konsequenzen. Die Seite der Schatten, des
Blutes und … des Todes. Ein Sieg bedeutete immer Tod, meistens der Tod vieler…
Doch wie hätte sie dem Kleinen den Stolz und die Freude nehmen können, wenn er
von seinem Vater erzählte, und die kindliche Hoffnung, die dahinter steckte?!
Und doch war
sie froh, dass Mikey da ein wenig anders war. Auch wenn sich die beiden
äusserlich wie ein Ei dem anderen glichen, war Mikey doch zurückhaltender,
nachdenklicher, besonnener, und nicht ganz so leicht für etwas zu begeistern,
wie sein wenige Augenblicke jüngerer Bruder. Danna, ihre Freundin und die
Schulmeisterin Sturmwinds, berichtete ihr oft von den unterschiedlichen
Ausprägungen der beiden, und davon, dass Jimmy eher gebremst und Mikey eher
ermutigt werden müsse… Und nun lag das alles seit Wochen alleine an ihr.
Und daneben
musste sie noch den Schnee vor dem Haus wegräumen, Kleider flicken, einkaufen,
kochen… Und Holz musste sie ja auch noch besorgen! Wieder seufzte sie tief und
stiess die Schaufel mit dem Fuss ein Stück weiter, um den Schnee in den Kanal
zu bugsieren.
Kurze Zeit
später…
Johlend und
lachend stürmten die Zwillinge um die Ecke, sich gegenseitig mit Schneebällen
bewerfend. „… und hast du gesehen, wie
der Holzschild davon flog? Zischhhhhhh – und weg war er! Der Lichtblitz war
toll! Das werde ich später auch machen! Zischhhhh – zischhhhh – zischhhh…“ Jimmy
schleuderte drei Schneebälle in schneller Folge nach seinem Bruder, doch nur
der letzte traf Mikey an der Schulter, der sich lachend den Schnee von der
Jacke wischte. „Ja, der flog einfach davon, in hohem Bogen…. Aber hast du gesehen, wie
schnell der andere davon rannte? Der Krieger kam ihm kaum nach, mit seiner
schweren Rüstung!“ – „Ja, das sah witzig aus!“ – „Ja, wirklich… und doch bin
ich froh, dass uns vor den Toren niemand gesehen ha…!“
„WO ward ihr?!!“ Alvinyas Stimme
überschlug sich leicht, als sie ihre beiden Jungs, die sie beinahe umgerannt hätten,
an je einem Arm packte. Beide verstummten erschrocken und blickten zuerst ihre
Mutter und dann einander entgeistert an. „Mikey Sarwald und Jimmy Sarwald! Ihr
beide geht jetzt sofort ins Haus und setzt euch an den Tisch!“ Mit blassem
Gesicht stiess sie die beiden in Richtung Haustür und liess sie los. Schnell
wie der Wind stieben die Zwillinge zum Haus, wobei sie kurz miteinander
rangelten. „Warum musstest du das sagen?!“
– „Du hast ja damit angefangen vom Kampf
zu erzählen…!“ -- „Still jetzt! Keinen Ton mehr ihr zwei! -
Und klopft euch den Schnee……..“
„…. von den Schuhen, ehe ihr rein geht…“, beendete
Alvinya den Satz, resigniert leiser werdend. Natürlich waren die beiden schon
drinnen und hinterliessen eine schmutzig-nasse Spur auf den Holzdielen. Nun,
die konnten sie ja nachher gemeinsam schrubben, das würde sie vielleicht
lehren, etwas sorgfältiger zu sein.
Alvinya
mühte sich noch mit einigen Schaufeln voll Schnee ab, während sie fieberhaft
überlegte, womit sie ihre Jungs wohl zur Raison ziehen konnte. Sie wussten doch
ganz genau, dass sie vor den Toren Sturmwinds nichts zu suchen hatten!! Aber
das war sicher wieder dieser Geoff gewesen! Auch wenn er ein bedauernswerter
Waise war, der kleine Streuner hatte nur Dummheiten im Kopf und steckte alle
anderen Jungs damit an!
Und doch….
Irgend etwas im Gespräch der beiden hatte etwas in ihr anklingen lassen, sie
kam nur nicht mehr darauf, was es war. Es war wie ein Lichtfunke gewesen, eine
Idee, die aufblitzte – und gleich darauf vom Schrecken wieder verdrängt wurde…
Es war nicht Jimmys Geprahle über den Lichtblitz gewesen, aber doch etwas aus
seinem Mund…. „Der Holzschild….!“
Alvinya
hielt inne, ein immer breiter werdendes Lächeln erhellte ihr Gesicht, und
langsam, ganz langsam begann ein Plan in ihr zu reifen - und eine Strafaufgabe
für die beiden Jungs ergab sich daraus auch gleich…