Ausrufer Gutmann
schritt durch die Gassen von Sturmwind und verkündete laut: „Ein neues
Gewandungsgeschäft öffnet heute seine Pforten! Besucht Eismagierin Kalinora im
Park und schaut Euch ihre Waren an!“
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Vollbepackt betrat Kalinora
ihren neuen Geschäftsraum, stapelte alles auf der Theke und begann sogleich,
die Gewänder auszupacken und sorgfältig drapiert aufzuhängen. Schon bei der
Auswahl am Morgen hatte sie darauf geachtet, eine möglichst grosse Vielfalt an
Kleidungsstücken und Schuhen mitnehmen zu können. Schliesslich sollten die
ausgestellten Waren in erster Linie als Beispiel dienen, als Anregung für die
Kunden, die sie danach massgeschneidert ausrüsten wollte.
Ein wenig mulmig
war ihr schon, beim Gedanken, in direkte Konkurrenz mit Robenhändlerin Wynne
Larson oder Tuchmacherin Lisbeth Schneider zu treten. Doch letztlich waren es ja
auch die fruchtlosen Gespräche mit genau den beiden gewesen, die sie dazu
gebracht hatten, über ein eigenes Gewandungsgeschäft nachzudenken. Die beiden
wollten einfach nichts von spezielleren Stoffen oder „neumodischen
Schnittmustern“ hören, und sie liebte es nun mal, Neues auszuprobieren und zu
entdecken.
Kalinora zuckte
ein wenig zusammen, als die Stimme Gutmanns an ihr Ohr drang, der lauthals die
Eröffnung ihres Geschäftes anpries, und eine Portion Stolz gesellte sich zu
ihren widersprüchlichen Gefühlen. Freude, Aufregung und eine grosse Menge
Nervosität hatten sich in ihr breit gemacht. Sie hoffte, die richtige Auswahl
getroffen zu habe, da sie für alle Kunden etwas anbieten wollte. Seien es
robuste Stiefel, Hosen, Hemden und regendichte Umhänge für den Alltag der
Bauern und Handwerker, oder feinere Hemden und Kleider für gehobenere Anlässe.
Und natürlich für alle Wünsche, die dazwischen lagen!
Wann würde wohl
der erste Kunde erscheinen – und war sie dann auch wirklich in der Lage, ihn
oder sie zufrieden zu stellen?? Was wäre, wenn…. Kopfschüttelnd rief Kalinora
sich zur Vernunft. Sie war gut ausgebildete Schneiderin, und sie freute sich
auf die speziellen Wünsche ihrer Kunden und Kundinnen. Bisher konnte sie sich
nichts vorstellen, was sie nicht zu machen bereit wäre. Aber das konnte sich ja
vielleicht noch ändern…
Prüfend glitt ihr
Blick über die Auslagen auf der Theke, dann rückte hier und dort noch einen
Stoffballen zurecht und stellte ihn so hin, dass das Licht die Farbe gut zur
Geltung brachte und strich letztlich zum wiederholten Male die Hemden glatt.
Alles Ablenkungsmanöver, wie sie sich seufzend eingestehen musste.
Kinderlachen
draussen erinnerte sie daran, dass sie ja eigentlich eine Schale mit
Süssigkeiten hatte aufstellen wollen! Missmutig verzog sie das Gesicht. Sie
hatte die Kekse doch tatsächlich zu Hause vergessen! Als dann aber die Kinder
in den Laden stürmten, war sie irgendwie froh darum… Die Kekse wären wohl
schneller weggewesen, als sie hätte schauen können – und wer weiss, das
schmutzige Kinderhände ihren Stoffen und Kleidern angetan hätten…
So konnte sie die
Kleinen nur mit einem freundlichen Lächeln begrüssen und versuchen, ihre Fragen
geduldig zu beantworten. „Wofür ist das?“
„Bist du Kalinora?“ „Was ist ein Gwandigungsschäft?“ „Woher ist das?“ „Kannst
du Schnee herbeizaubern?“ „Was machst du?“ „Darf ich das mal anziehen?“ „Warum
machst du das?“ „Wie alt bist du?“ „Meine Mama näht unsere Kleider selber.“ „Ich
hab‘ Durst!“ „Hast du auch Kinder?“ „Wo wohnst du?“
Kalinora glaubte
schon, den Kindern würden die Fragen nie ausgehen, als einer der Jungs, der
eher gelangweilt wirkte, die anderen fragte, wer zum Angeln mitkäme. So
schnell, wie sie gekommen waren, waren sie wieder verschwunden, und ihr Lachen
und Johlen verklang langsam Richtung Kanäle.
Mit einem
amüsierten Schmunzeln begann Kalinora erneut, die ausgestellten Waren zurecht
zu rücken und glatt zu streichen, diesmal mit gutem Grund. Sie war gerade
fertig damit und wollte eben in ihrem Buch blättern, in dem sie ein paar
Zeichnungen, Schnittmuster und Stoff-Ideen zusammen getragen hatte, als etwas
schwerere Schritte einen weiteren Kunden ankündigten, den ersten richtigen, wie
Kalinora hoffte. Und tatsächlich betrat der Händler Anthonius den Laden! Sie
hatte ihn vor wenigen Tagen kennen gelernt, und er hatte sowohl Interesse an
einer neuen Ausstattung gezeigt, wie auch, typisch Händler eben, sich
gegenseitig mit Werbung zu unterstützen. Er würde sicherlich weit herum kommen
und dürfte, wenn er erfolgreich war, über einiges an Kontakten verfügen, was
für sie nur von Vorteil sein konnte, vor allem, wenn sie vielleicht
irgendwelche speziellen Dinge brauchen würde….
Anthonius war ein
angenehmer Kunde. Er wusste genau, was er wollte, benannte klar seine Wünsche
und Vorstellungen, und Kalinora freute sich, da er sie damit vor absolut keine
Probleme stellte. Bei den Stiefeln passte sogar eines der ausgestellten Paare so
perfekt, dass Kalinora sie ihm gerne überliess. Schuhe und Stiefel waren da
immer so eine Sache, die dauerten doch etwas länger zum Herstellen, da sie mit
dem Leder nicht so gut klar kam, wie mit den Stoffen. Da mussten ihre Kunden
halt einfach ein wenig Geduld mitbringen – wenn sie nicht gerade das passende
fanden. Nachdem sie Mass genommen und sowohl Stoffwahl, wie auch Schnitt
besprochen hatte, versprach sie ihm, Hose und Hemd bis zum Abend fertig
gestellt zu haben, und machte sich auch sogleich an die Arbeit.
Sie hatte ihren
ersten Kunden bedient! Die Freude beflügelte ihre Arbeit, und sie kam wirklich
gut voran, auch wenn sie immer mal wieder von anderen Kunden unterbrochen
wurde. Die meisten schauten sich einfach nur um, sprachen ein paar Worte,
stellten ein paar Fragen und verabschiedeten sich dann höflich wieder. Doch
eine junge Magierin schaute sich das Buch ihrer Vorlagen und Ideen mit
Kennerblick an und bestellte ein paar purpurrote Seidenhandschuhe... Kalinora
liess sich nichts anmerken und vermass die Hände der Magierin etwas
umständlich, während sie fieberhaft überlegte. Ausgerechnet diese purpurroten
Handschuhe… Sie hatte alles im Lager. Nein, eben, um genau zu sein, nur FAST
alles… Woher sollte sie nur in absehbarer Zeit das verflixte Feueröl
herbekommen?? Kalinora war irgendwie erleichtert, als die Magierin das Geschäft
recht schnell wieder verliess und darum bat, ihr die Handschuhe einfach per
Nachnahme-Boten zu senden. Wann und zu welchem Preis schien dabei nicht sehr
wichtig zu sein.
Sie blickte ihr
einen Moment nach, widmete sich wieder ihrer angefangenen Arbeit – und lachte
leise auf. „Eine Hand wäscht die andere!“
Das war doch gerade mal ein guter Test für die Handelsgesellschaft, für die
Anthonius arbeitete! Sie war gespannt darauf, wie der Händler auf ihre Frage
reagieren würde… Drei Tage, dachte sie. Solange wollte sie ihm dafür schon Zeit
lassen.
Der Tag verging
wie im Fluge, und als es eindunkelte, kam der Händler wieder und Kalinora
konnte ihm die fertig gestellten Kleidungsstücke präsentieren. Er war
offensichtlich sehr zufrieden damit und lobte ihre Arbeit, und auch auf das
Angebot, den Preis etwas zu reduzieren, im Austausch zu einer Ladung Feueröl,
ging er bereitwillig ein. Kalinora jubilierte innerlich. Da schien sich
wirklich eine gute Zusammenarbeit anzubahnen. Wenn es immer so gut lief, wäre
sie all ihre Sorgen los! Denn gewisse Verarbeitungen benötigten doch recht
spezielle Dinge, die sie nicht einfach so herbeizaubern konnte. Andere konnten
das ja vielleicht… Aber SO magiebegabt war sie nun doch nicht. Ausserdem hatte
das sicher mit arkaner Magie zu tun, und sie begnügte sich damit, Eis -und
vielleicht auch mal Feuer- zu beherrschen.
Da er ihr erster
Kunde und auch noch Händler war, schenkte sie ihm eine Tasche, um ihren guten
Willen zur Zusammenarbeit zu unterstreichen, und sie schien auch damit Erfolg
zu haben. Der Händler verliess am Ende ihr Geschäft mit doch recht zufriedener
Miene, wie sie glaubte.
Dabei stiess er
beinahe mit einem Bauern zusammen, der sich nach Kalinoras Schneiderei durch
fragte. Und wieder wurde ihr bewusst, dass noch etwas fehlte… Ein Schild, ein
einfaches Schild, dass darauf hinwies, dass in dem ehemals leerstehende Gebäude
nun wieder Leben eingekehrt war. Sturmwinds Ausrufer Gutmann wies zwar auf den
Park hin, aber dennoch war von aussen nicht so einfach ersichtlich, in welchem
Haus sie denn nun arbeitete… Sie bat ihn herein und liess ihm einen Moment
Zeit, sich ein wenig umzuschauen.
Währenddessen,
begann Kalinora damit, den Seidenstoff für die Handschuhe vorzubereiten. Sie
hatte zum Glück noch rotgefärbte Seide, auch das benötigte Leder, und selbst
der Feuerzauber war ihr nicht unbekannt, der mit dem Feueröl zusammen den Handschuhen
die zu erwartende magische Verstärkung verleihen sollte. Dieser letzte Teil war
etwas aufwändiger und brauchte volle Konzentration, und so war sie eigentlich
ganz froh, damit noch etwas warten zu können.
Der Tag war doch
anstrengender gewesen, als erwartet, was sicher hauptsächlich an der Nervosität
lag – und daran, dass ihr laufend Dinge einfielen, die sie vergessen hatte, oder
die ganz einfach noch fehlten. Sitzgelegenheiten, z.B., nur schon, um Schuhe
oder Stiefel anzuprobieren. Eine sichtgeschützte Umkleidezone, kleine
Aufmerksamkeiten, wie Kekse oder etwas zu Trinken… Sicher würden ihr danach
noch mehr Dinge in den Sinn kommen. Aber das machte ja nichts. Sie wollte das
Ganze langsam angehen. Ihr Traum wäre ja „Das feine Band“ – aber die
Stadtverwaltung wollte ein so zentral gelegenes, zweistöckiges Geschäft nicht
an eine unerfahrene und noch unbekannte Neueinsteigerin abgeben… Vielleicht,
wenn sie sich mal einen Namen gemacht hatte?
Ihre Gedanken
schweiften etwas in Zukunftsträume ab, bis der Bauer mit einigen Bemerkungen
und Fragen wieder auf sich aufmerksam machte. Sie hatte damit gerechnet, dass
er, wie andere einfache Leute vor ihm, sich nur kurz umschauen und dann wieder
weiterziehen würde. So einen ersten Blick in das Geschäft werfen, und dann zu
Hause in Ruhe überlegen, was denn nun wirklich notwendig war, und was nicht
doch selbst gemacht günstiger zu stehen kam… Sie kannte die Sorgen und Nöte der
einfachen Leute und hatte ihr Verständnis dafür. Umso erfreuter war sie, als
der Bauer sich danach erkundigte, was denn ihre Spezialität sei. „Massgeschneiderte Kleidung und Schuhe!
Niemand soll das Geschäft mit irgend etwas verlassen müssen, das nicht absolut
perfekt passt!“ Ihre Zunge war schneller, als ihre Gedanken, und sie hätte
sich im nächsten Moment ohrfeigen können. Als ob sich ein einfacher Bauer für
Massanfertigungen interessiert!! Glücklicherweise ging er nicht darauf ein,
vielleicht war er zu irritiert von dem Gedanken, wie sie selbst es ja auch gerade
war, und fragte stattdessen, ob sie denn auch Flick-Arbeiten übernehmen würde.
Erleichtert und
erfreut bestätigte Kalinora dem Mann dies. Natürlich, ehe ein Bauer sich neue
Kleidung anschafft, wird die alte so gut und so oft es geht geflickt! Und
selbstverständlich würde sie auch das übernehmen. Es war ihr wirklich ein
Anliegen, für alle da zu sein, und wenn er dies seinen Freunden und Bekannten
weiter erzählen würde, hätten vielleicht bald auch die einfachen Leute den Mut,
sich an sie zu wenden. Besser konnte der Tag ja gar nicht enden!
Als der gute Mann
dann allerdings von seinen Socken sprach, zur Demonstration seinen Stiefel
auszog und mit den fast rundherum sichtbaren Zehen wackelte, war die
Schneiderin dann doch ein wenig schockiert. Nicht, weil er sie von ihr flicken
lassen wollte, als vielmehr deswegen, dass er mit solchen Strümpfen überhaupt
noch gehen konnte, ohne die Zehen abzufrieren! Schliesslich stand der Winter
vor der Tür, und der Schnee würde nicht mehr lange auf sich warten lassen… Eine
Wäsche hatten die Socken sicher auch nötig, doch leider besass der gute Mann
keinen Ersatz und konnte sie nicht einfach über Nacht da lassen. Und da sie ja
eben leider keine Sitzgelegenheiten besass, beschloss die Magierin, ihn in den „Blauen
Eremiten“ einzuladen, wo sie die Flickarbeit übernehmen würde, während er sich
in der warmen Gaststube ausruhen und etwas trinken konnte.
Irgendwie schlich
sich Mitleid in ihr Herz, von dem sie aber genau wusste, dass es ihn in seinem Berufs-
und Standes-Stolz beleidigen würde, wenn er davon wüsste. Und so versuchte sie,
ihm mit Witz und Charme das Angebot zu machen, die Socken ohne Entgelt zu
flicken, da dies ja ihr erster Arbeitstag sei. Seine Reaktion war so einfach,
wie erfrischend: er gab ihr gratis und franko Unterricht im „richtig Geschäfte abschliessen“,
wenn sie je auf einen grünen Zweig kommen wolle, und „bezahlte“ ihre
Dienstleistung mit frischer Milch und (zähem) Brot, das sie für den nächsten
Arbeitstag ihren Kunden zur Verfügung stellen mochte. Das Brot ganz dünn
aufgeschnitten, selbstverständlich, damit es auch recht lange für viele reicht…
Ja, Bauer muss man wohl sein, um einen Sinn für gute Geschäfte zu haben!
Sie räumte noch
etwas auf, kehrte die Stofffetzchen und Fadenschnipsel zusammen und beendete
ihren ersten Arbeitstag als frischgebackene Geschäftsbesitzerin.
Sie hatte an
diesem Tag sehr viel Glück gehabt, wie Kalinora kurz darauf feststellen durfte,
als der Händler Anthonius ihr auf einem Pferd entgegen ritt, während sie mit
dem Bauern zur Taverne unterwegs war. Er hatte tatsächlich einen weiteren
Händler der „Handelsgesellschaft Nord“ getroffen, dessen Kontaktmann das von
ihr benötigte Feueröl auf Lager gehabt hatte!
So kam es, dass
Kalinora den Abend im „Blauen Eremiten“ beschloss, ihre Hände mit
Lederhandschuhen davor schützte, sich beim Socken-Stopfen in die Finger zu
stechen (bei den grossen Löchern war schon eine grosse Nadel nötig…) und dabei
ihre Nase erstaunlich häufig über ihren Becher Melonensaft hielt, ohne wirklich
viel davon zu trinken, während sie arbeitete… Der Bauer ging grosszügig über
diese Kleinigkeiten hinweg und erzählte bereitwillig von seiner Kuh und von seinem Garten, in
dem ganz spezielle Apfelbäume standen……